Tagebuch 1996

Vorbetrachtung

Dies sind die Aufzeichnungen meines ersten Irlandurlaubs, der ich damals natürlich noch nicht Irlandfan hieß, sondern einfach Schriftführer.

Wir einigten uns, in Cork Fahrräder zu mieten, diese nach Galway zu bringen und auf dem Weg zu betrachten, was halt so kommt. Dafür waren 10 Tage eingeplant und ein paar Tage für Dublin oder irgendwas anderes. Alles ziemlich offen und ohne besondere Erwartungen, die können wenigstens nicht enttäuscht werden.

Unsere einzige ernsthafte Begegnung mit Irland besteht zu diesem Zeitpunkt aus einem Besuch in einem Plattenbau-Pub in Berlin-Lichtenberg.

Der erste Kontakt
Samstag, 29.6.1996

Im Pilotenjargon bedeutet dieses Zeichen: "Alkohol nur vor dem Start!"
Im Pilotenjargon bedeutet dieses Zeichen: „Alkohol nur vor dem Start!“

Von allen alleingelassen, stehen wir auf dem Flughafen Berlin-Tegel, bei dessen Anblick sich der unfreiwillige Namenspatron Otto Lilienthal im Grabe umdrehen würde, in einer Abflughalle von den Ausmaßen einer Telefonzelle mit etwa 2000 Urlaubsinteressenten zusammen, die Flüge nach Antalya und Daramaramaran (oder so ähnlich) gebucht haben. Die erwartete deutscheffiziente Organisationsfähigkeit ist versehentlich in ein Flugzeug nach Mexiko verladen worden und deshalb unauffindbar. Ein Blau-Mann mit einem Funkgerät sucht Irlandreisende einzeln auf dem ganzen Flughafen zusammen und lässt seine Wut an ebenjenen Reisenden aus.

„Watten, ihr wollt ono‘ na Ürland? Mönschenskinda, uff euch wartense seitna halm Stunde. Det steht do‘ da oben dranne die janze Zeit, könnt ihr nich kieken oda wat!“

„Ey Atze, da oben steht seitna Stunde nüscht andret dranne außa ‚Antalya‘, ‚Antalya‘, ‚Antalya‘ und ‚Dublin bitte warten‘, und pass uff daste nich platzt.“

Das hätte ich beinahe gesagt, doch dann fiel mir ein, dass ich doch recht gern nach Ürland möchte. Heute. Lebendig.

Aber wie soll das erst werden, wenn TXL und THF dichtmachen und aus SXF BBI wird? Immerhin riecht es nach Flughafen und nach der großen weiten Welt. (Damals war der geplante Name noch BBI. Später wurde das Projekt in Willy-BER umbenannt.)

Im Flugzeug warten wir noch eine Viertelstunde auf die restlichen Passagiere und informieren uns gewissenhaft über die Sicherheitsmaßnahmen. Wie legt man zum Beispiel eine Schwimmweste an (und wozu?? Das Ding soll doch fliegen und nicht schwimmen, oder?), ohne 1. sich selbst oder andere zu erdrosseln, 2. wie ein wandelnder Airbag auszusehen und 3. die Weste pfeifend durch den Raum fliegen zu lassen; aber das sind ja gleich drei Wünsche auf einmal. Wir finden auch heraus, dass Lufthansa umweltfreundlich wird und nicht mehr das Geschirr wegwirft, sondern nur noch Plastiktüten, Getränkedosen, Tetrapaks und Flaschen. Es war schon immer schwierig und teurer, sich umweltfreundlich zu benehmen, und unmöglich, wenn man versucht, dies in einem Flugzeug zu tun.

Dieses (Avro RJ-85) ist eher klein, besitzt aber trotzdem die beschwingte Grazie und – in den Augen des Schriftführers – auch die Flugtauglichkeit eines schwangeren Blauwals auf Nikotinentzug. Scheinbar fliegen in den Sommerferien nicht so viele Leute nach Irland.

Nach Landung in Dublin wollen wir sehen, dass wir einen Überlandbus nach Cork kriegen. Um eine Provision kassieren zu können, empfiehlt man uns an einem Informationsschalter, das Quartier in Cork schon hier zu buchen, was wir denn auch tun. Der Bus zum Busbahnhof heißt Aerlink und von dort soll es nach Cork gehen.

Uns fällt die Geruchsmischung in der Luft auf, als wir vor dem Flughafengebäude stehen: Kerosin und das was ein Berliner Stadtei als Landluft definiert, nämlich Geruch nach frischem Heu und frischem was-die-Kuh-hinter-sich-lässt-wenn-sie-das-Heu-durchgenommen-hat. Ansonsten nehmen wir zur Kenntnis, dass die das mit dem Fahren auf der falschen Straßenseite offensichtlich ziemlich konsequent durchziehen.

In der Nähe des Flughafens sieht man dann bisweilen noch ein paar verängstigte Kontinentaleuropäer in scheinbar falsch zusammengebauten Mietwagen („Wo ist das Lenkrad?“ – „Ähm… Das hab ich hier auf meiner Seite…“), die sich da auch nur schwer dran gewöhnen können. Helfen können einem dagegen zum Beispiel die Schilder „Drive left“. Ein Ähnliches tun Beschriftungen an Fußgängerüberwegen, die verhindern sollen, dass man außerplanmäßig überfahren wird.

In Dublin herrscht „Rush Hour“, während sich der Bus an der Liffey (und der Guinness-Brauerei – lechz!) vorbeischiebt.

Die Fahrt nach Cork gerät landschaftlich eigentlich wenig spektakulär, trotzdem sind wir am Aufsaugen der ersten offiziellen Optik und des einzig wahren Grüns. Nur das Passieren des abendlich angestrahlten Rock of Cashel löst ein Raunen unter den Touristen aus. Wir wollen aber erst mal nach Cork, man kann sich ja nicht um alles kümmern.

Abends gegen neun kommen wir in Cork an. Es ist recht warm und fast schon dunkel, und es herrscht die schwer zu beschreibende Stimmung, wenn bei Dämmerung alle Leute grade auf dem Weg in die Kneipe sind und die Stadt deshalb von einem kaum wahrnehmbaren, doch alles durchdringenden Gebrabbel vibriert. Nach dem Wegbeschreibungs-Wisch, den wir in Dublin bei der Reservierung bekommen haben, müssen wir eine Bergstraße („straight up the hill“) ersteigen, die nach St. Patrick, dem irischen Nationalheiligen, benannt ist, glücklicherweise aber nach drei Vierteln des Weges zu seinem derzeitigen Wohnort endet. Oben erleben wir zum ersten Mal die Unkompliziertheit von B&B (Bed & Breakfast, Bett und Frühstück): Ach ihr seid das, das ist euer Zimmer, Frühstück ab acht, viertel neun klopfen wir dann (haha) und ihr geht ja sicher noch weg, bis morgen.

Unser erstes echtes irisches Pub ist eher ernüchternd, immerhin gibt es Guinness und baupolizeilich bedenklich befestigte Holzpaneele an den Wänden.

Immer noch der erste Kontakt, weil gestern eigentlich gar nicht zählt
Sonntag, 30.6.1996

Die Straßen von Cork
Die Straßen von Cork
Nach dem Frühstück, dessen Menge und in Zukunft auch Verträglichkeit uns überraschen, holen wir Geld (ec sei Dank) und betrachten oberflächlich die Stadt. Cork ist durch den River Lee halbiert und am heutigen Sonntag etwas verschlafen, denn Irland ist, was es dem Schriftführer sympathisch macht, ein Land der Spätaufsteher. Kann auch sein, dass gerade Gottesdienst ist. Unser theoretisches Ziel ist die Fahrradvermietung.

Diese hat Sonntags zu. Selbstverständlich.

(Anmerkung: Wir hatten die Räder von Deutschland schriftlich bestellt, und die Zentrale in Dublin hatte, zwar unseren Wünschen folgend, aber selbständig und widerspruchslos, das heutige Datum als Abholdatum in den Vertrag eingetragen.)

Ähm… also geplant war ja eigentlich eine Fahrradtour von Cork nach Galway… „Schau mal, dahinten schwimmen unsere Felle…“

Ein anderer Ladenbesitzer meint, wir sollten mal zur Polizei gehen, vielleicht haben sie die Räder dort abgestellt (?!). Dort weiß man von nichts, ist aber nicht erstaunt über die Frage (????!!), und nachdem auch keiner den Ladenbesitzer ausfindig machen kann, da dieser schläft, mieten wir kurzerhand bei einer anderen Kette zwei Räder im Einwegverfahren. Ob sich das auf die Strecke oder die Räder bezieht werden wir sehen.

Kurz darauf sind wir on the road und kämpfen gegen Wind (also Gegenwind, genauer den so genannten „gemeinen murphy’schen Gegenwind“), den ersten Regen und den ersten Berg. Dahinter liegt Blarney. Der Ort hat eine Tankstelle und ein Schloss und lockt mit einer alten Sage die Touristen und ist deshalb vielleicht in der Aberglauben-Szene bekannt, aber bekanntlich bringt Aberglauben ja Unglück.

Wir folgen dem Lauf des Lee, der an diesem wechselhaften, doch manchmal sonnigen Sommertag eine idyllische Kulisse abgibt.

Schließlich sind wir froh, als (und dass) wir in Macroom eintreffen und fahr-moralisch niedergeschlagen, denn es sieht auf einmal so aus, als ob wir die auf 10 Tage ausgelegte Tour bis Galway höchstens gerade so schaffen.

Schließlich sind wir hier, um uns Irland anzuschauen und nicht, um uns selbst irgendwas zu beweisen.

Das äußert sich außerdem im vollständigen Fehlen von Kampfradfahrer-gestylter Kleidung einschließlich der nicht totzukriegenden Radlerhosen und von im Windkanal gefärbten Brillen.

Wir finden ein B&B und essen in einem Pub Sandwiches und Bier, während im Fernsehen Deutschland aus unerfindlichen Gründen Fußball-Europameister wird. Das gibt später zahllosen Iren die Möglichkeit zu fragen: „You’re from Germany? Did you watch the game? My favourite player was… ehm… what’s his name… Yurgen Cleansman?“

Throwaway Bike
Montag, 1.7.1996

Wunschtraum
Wunschtraum
So langsam wird der Schriftführer zum Irlandfan.

Wir entschließen uns, trotz allem weiter nach Westen, nach Killarney zu fahren, größtenteils, weil es auf der Karte sonst ziemlich blöd aussehen würde. Wenn wir es nicht schaffen, können wir ja immernoch den Bus nehmen.

Im Fahrradladen kaufen wir einen Inbusschlüssel für die Sattelverstellung. Das ist ein reichlich aufwendiges System, das dauernd nachgibt. Im Laufe des Gesprächs bezeichnet der Schriftführer es voreilig als „albern“, noch nicht ahnend, was ihn bei den bereits hämisch grinsenden Luftpumpen erwartet.

Zehn Minuten nachdem wir zwei Deutsche aus dem gestrigen Pub auf einer Bergstrecke winkend überholt haben, haben wir den ersten Platten. Das Hinterrad, natürlich. Während der Reparatur überholen uns zwei Deutsche aus dem gestrigen Pub, natürlich winkend, die überhebliche Brut.

Der Pass in den Derrynasaggart Mountains ist auf eine faszinierende Art kahl und wirklich hart für uns. Hatte ich den Gegenwind schon erwähnt? Nein? Also es weht uns ziemlich starker Wind ins Gesicht. Ich fahre jeden Meter mit der Angst vor einem weiteren Platten. Einzig hilfreich sind diesbezüglich wahrscheinlich Mountainbikes.

In der Nähe des Passes finden wir eine Art Baude vor, Treffpunkt des Tourismus, und alle Radfahrer essen Sandwiches und heißen Tee.

Nach Überschreiten des Gipfelpunktes lässt der Wind, wie könnte es anders sein, nicht nach, und so müssen wir auf den steilen Bergabstrecken noch treten, um nicht stehenzubleiben und umzufallen. Nicht lachen, ich hab’s probiert. Ansonsten ist die Abfahrt sehr schön und letzten Endes doch entspannend.

Zu diesem Zeitpunkt steht uns der nächste platte Reifen am selben Rad nur noch etwa 20 Minuten bevor. Die Luft ist raus, wir haben einfach keine Lust mehr.

Wir schieben bis zu einer Tankstelle, in der Hoffnung, dass es dort Schläuche zu kaufen gibt. Es gibt alles. Wirklich alles.

Außerdem noch frische Wurst und Telefonkarten, aber zum Reparieren von punctures (ein viel zu kleines niedliches Wort für ein großes Problem) nur Flickzeug. Es sind noch 15 Kilometer bis Killarney. Wir beginnen uns mit dem Gedanken anzufreunden, abermalig den Schlauch zu reparieren, da fragt der Tankstellenbesitzer die Fahrer eines Obsttransporters, ob sie uns nicht mit nach Killarney nehmen können. Ja, kein Problem.

Und so sitzen wir denn zu viert in einem LKW, die Räder hinten zwischen den Pfirsichkisten. Die beiden sind kaum älter als wir und interessiert an der Arbeitsmarktsituation in Deutschland, die zur Zeit leider eher eine Arbeitslosensituation ist. Vor den Toren Killarneys setzen sie uns ab. Die Erdbeeren sind leider noch nicht ganz reif, aber die Pfirsiche sind gut.

Wir schieben die Räder durch Killarney, kaufen 2 Schläuche und suchen uns ein Quartier. Nachdem eins voll und das zweite eher von Alkoholdämpfen denn von Gastlichkeit durchzogen war, werfen wir schließlich im Lar Kinley (mehr als nur ein Wortspiel?) den Anker & das Handtuch. Als wir die Räder auf den Hof schieben, fragt uns die Wirtin, was denn damit sei. Wir erzählen ihr das Wichtigste in Kürze, und weil sie eine von diesen Menschen mit der Durchsetzungsfähigkeit eines aus großer Höhe abgeworfenen Stahlträgers ist, will sie mit den guys der örtlichen Filiale unserer Fahrradvermietung mal ein Kraft-Wort reden.

Wir gehen im Endeffekt nur mit, weil ja jemand die Räder schieben muss.

Die „örtliche Filiale unserer Fahrradvermietung“ ist ein Container auf einem Parkplatz. Zentrale Punkte im folgenden Monolog-Gefecht sind die armen Boys, die praktisch kein Englisch verstehen („Ehm… what did he say??“) und demzufolge Gaunern, Verbrechern und Räubern schutzlos ausgeliefert sind. Bis morgen will man unsere Räder reparieren.

Killarney ist touristisch voll erschlossen, mit allen Vor- und Nachteilen, die das mit sich bringt. Eigentlich einziger Vorteil ist, dass immer irgendwas los ist und dass es viele Läden gibt. Auch pubtechnisch hat man deshalb natürlich die große Auswahl. Wir wählen einen gewissen „Danny Man“, der heute auch Musik anbietet, aber wo gibt es das nicht jeden Tag in dieser Metropole der bereitwillig bedienten (und nicht nur transatlantischen) Pauschalerwartungen? Da wir zur Zeit aber nicht mal die letzteren haben (sowas hat man nur zu Hause), ist das schon ok.

Als wir nach Hause kommen, fragt uns die Wirtin, ob wir girls „gefunden“ hätten.

Weiterfahren, nicht anhalten, weiterfahren…
Dienstag, 2.7.1996

Rückblick auf Killarney
Rückblick auf Killarney
Wir stehen spät auf („Good afternoon boys!“), und nach dem Frühstück gehen wir unsere Räder holen. „I fixed everything“, sagt der Repairman – soll heißen, es ist alles eingestellt, festgezogen und verschraubt (im speziellen die Schaltung, die nach zwei Tagen schon verstellt war). Auch begutachten wir den alten Schlauch und was daran kaputt war: „The valve is fucked up.“

Heute soll es über Tralee bis Listowel gehen. Der Abschied fällt schwer, es war sehr nett hier, und wir sollen unbedingt noch anrufen.

Übrigens lassen wir unverzeihlicher Weise (so dämlich wollte ich das schon immer mal schreiben) die landschaftlichen und kulturellen Schönheiten hier liegen, u.a. den Killarney-Nationalpark mit vielen Ruinen und Bäumen und die Halbinseln Dingle und Kerry, die zwar nicht in der Nähe liegen, für die Killarney jedoch ein guter Ausgangspunkt ist.

Obwohl das Früstück gut war, fressen wir außerdem Kilometer, und deshalb ignorieren wir Tralee und Listowel und fahren durch bis Tarbert, wo wir dann morgen die Fähre über die Mündung des Shannon zu nehmen gedenken.

Tarbert wirkt wie ausgestorben. Vielleicht ist es nur deshalb entstanden, weil die Leute, die auf die Fähre warten, sich ein Sandwich ins Gesicht tun wollen. Vielleicht auch wegen der ehemaligen Küstenfestung. Vielleicht ist dies ja auch unser erster Kontakt mit der vielbeschworenen Rauhsamkeit der irischen Provinz. In jedem Pub nicht mehr als ein bis zwei Leute. Wir schauen uns die Stadt an und unternehmen dann noch im windstillen Licht des frühen Abends eine Wanderung zum Hafen, von wo aus wir morgen abfahren.

Gebrüll vom örtlichen Sportplatz erklärt die Ruhe in der restlichen Stadt. Es wird ein Gaelic Football-Spiel ausgetragen. Das wirkt auf den ersten Blick etwas brutal, aber wir sind schon dankbar für eine Abwechslung vom gerade erst mühsam und knapp durchwachten Fußball-Terror.

Irritierend ist, dass die Spieler den Ball auch in die Hand nehmen dürfen.

Klippen
Mittwoch, 3.7.1996

Cliffs of Moher
Nur ein kleiner Teil der Cliffs of Moher
Wir nehmen am relativ frühen Morgen die Fähre über den Shannon und umgehen damit den indirekten Empfehlungen von Heinrich Böll und (im Nachhinein) Frank McCourt folgend die Stadt Limerick. Die Luft ist recht windhaltig, und verschiedene Wellen spritzen über den Bug der Fähre und all die ganz Schlauen, die unbedingt vorne stehen wollten. Zum Glück bin ich aber eben wegen des Windes recht schnell wieder trocken.

Der Wind kommt heute verstärkt von der Seite, was uns zu einer nach links geneigten Fahrweise zwingt. Dafür haben wir keine Berge (also richtige Berge. Auf und ab geht es in Irland andauernd). Wir wollen heute bis zu den Cliffs of Moher und irgendwo dort absteigen – im doppelten Sinne – und mal ohne Gepäck die wahrscheinlich wichtigste Station jeder Irlandreise besichtigen.

Auf der Fahrt sehen wir erstmalig länger das Meer. Die Straße ist mit dem Nachteil behaftet, dass sie jede Bucht mitnimmt, aber jede Bucht ist sehr schön, und ich mache von jeder Bucht ein Bild. Die Landspitze, hinter der die Cliffs of Moher liegen, ist recht markant, und wir sehen sie fast die ganze Tour. In Lahinch überlegen wir, ob wir noch weiter fahren. Der Ort ist ein Golfzentrum. Mit stoischer Ruhe spielen die Leute auch aus kniehohem Gras, bei Regen und starkem Seewind.

Unterkunftstechnisch einigt man sich auf Lisconnor. So sind wir näher an den Cliffs und müssen morgen nicht so weit. Unser Zimmer ist groß und angenehm.

Wir warten noch den Regen ab und fahren dann zu den Cliffs. Die Auffahrt ist steil, schließlich ist es ja so als würde man die Cliffs hochfahren.

Langsam wird es flacher, und den Bussen folgend findet man auch die Cliffs of Moher. Das Gebiet ist relativ ruhig im Vergleich zu dem, was wir gehört hatten. Ein bis zwei Souvenirshops, ein Wagen mit irischer Musik und ein Parkgebührenkassierer.

Wir besteigen auch den Turm, aber ein Erlebnis ist das durch den geringen Höhenunterschied (der Eintrittspreis ist höher als der Turm) und eine offensichtlich latente Neigung zur Klaustrophobie nicht.

Ein Pub wäre jetzt gut.

„Der längste Weg zwischen zwei Punkten ist eine unbekannte Abkürzung“ und ähnliche Gemeinheiten
Donnerstag, 4.7.1996

Am schwarzen Kopf des Burren
Am schwarzen Kopf des Burren

Unser heutiges Tagesziel ist Ballyvaughan südlich der Galway Bay. Dabei wollen wir die längere (und flache…) Küstenstraße verwenden und auf der Fahrt den Burren, ein stark (eigentlich ausschließlich) steinhaltiges Hochplateau, betrachten. In Ballyvaughan wollen wir zwei Nächte bleiben, einen Tag ausruhen und die zahlreichen im Reiseführer angekreideten Sehenswürdigkeiten besuchen.

Aber bleiben wir bei heute.

Falls der geneigte Leser eine Karte zur Hand hat, wird er verstehen, warum wir zum Erreichen der Küstenstraße die steile Auffahrt zu den Cliffs of Moher vermeiden und außerdem die Ecke abschneiden wollen. Auf Karten sieht alles immer so einfach aus, aber das sollte gerade ich eigentlich wissen. Bei den angestrebten Kleinstraßen handelt es sich um gerade noch nutzbare Kieswege (übrigens kommen einem in Irland manchmal auf den unwahrscheinlichsten Straßen Busse entgegen), so dass wir von Hunden gehetzt (Go home!!!) durch die Berge irren. Wir schieben, weil wir uns mit den – sagen wir: vertrauensunwürdigen – Reifen nicht mehr getrauen zu fahren.

Dafür haben wir aber eine schöne und sehr steile Abfahrt zur Küste. Irgendwie haben wir den Berg trotz allem mitgenommen.

Den halben Tag irren wir durch die Dörfer auf der Suche nach einem Geldautomaten, und der Irlandfan kann sich auch überhaupt nicht erklären, warum er nach dem allabendlichen Eintragen der gefahrenen Strecke in die Karte mit Rotstift plötzlich starken Appetit auf Spaghetti bekommt.

In Lisdoonvarna entscheiden wir durch Wurf einer (englischen) 2-Pence-Münze, trotz der späten Stunde und aller Widrigkeiten doch noch die Küstenstraße zu nehmen. Wir haben als Entschädigung einen einzigartigen Blick auf Burren, Meer und die Aran-Inseln im Nebel und überhaupt eine angenehme Fahrt in den Abend auf friedlichen Straßen.

In Ballyvaughan finden wir ein B&B in einem richtig alten Bauernhaus (ein echtes) mit allem was dazugehört und schiefen Türrahmen. Leider kann sich der Schriftführer nicht mehr an den Namen erinnern. Man findet es sehr einfach an der Straße Richtung Galway, nicht mehr direkt im Ortskern gelegen, rechter Hand hinter einer Wiese und neben einem Feld etwas zurückgesetzt. Solch herzerwärmende Gastfreundlichkeit findet man selten. Sehr zu empfehlen. Wirklich. An dieser Stelle Grüße an … Mary, wenn ich mich recht entsinne.

Höhlenbären und keine Menschen die herumhängen
Freitag, 5.7.1996

Paulnabrone
Paulnabrone

Mary ist erstaunt, dass wir zum Frühstück (im Wohnzimmer) auch die sausages essen. Sie sagt, wir seien die ersten Deutschen, die das tun. — Naja, einer muss ja mal anfangen.

Eine gleichfalls anwesende Rucksacktouristin aus Shtrowbing / Bavaria legt uns die Aran Islands ans Herz. Sie empfiehlt uns eindringlich, wegen der vielen Touristen auf der Hauptinsel zu übernachten und sie uns am Morgen anzusehen, bevor die nächsten Touristen mit dem Schiff ankommen. Des weiteren erzählt sie von den Dolmen und der Höhle in der Nähe von Ballyvaughan. Das wollen wir uns heute denn auch antun.

Ohne Gepäck jammern und klappern die Räder wenigstens nicht so laut beim Fahren.

Der Höhleneingang liegt halb auf dem Hang des Burren, und die Aussicht ist toll. Die Höhle selbst ist nicht zwangsläufig überwältigend, aber die Führung einschließlich Lichtshow ist sehr interessant. Glanzstück der Höhle ist ein Wasserfall, der an der Decke irgendwo austritt und im Boden wieder verschwindet.

Andererseits wäre es auch sehr verwunderlich, wenn er auf halber Höhe hängen bleiben und ein unzüchtiges Lied singen würde.

In der Höhle hat es auch Bären gegeben. Die sind glücklicherweise heraus, aber sie hatten es ja auch nicht leicht. Natürlich ist eine Höhle im Normalzustand völlig dunkel und so sind anwesende Tiere auf Geruchssinn (Bären) und Ultraschall-Gehörsinn (Fledermäuse, bats) angewiesen. Nach mehreren Warnungen (Mind your head, don’t panic) schaltet der Führer alle Lichter ab und spricht, dass sich die Augen eines Menschen nach längerem Aufenthalt in völliger Dunkelheit nie wieder (!) an Licht gewöhnen können. Damit das keiner überprüfen kann, schaltet er das Licht wieder ein.

Zurück im Tageslicht wollen wir (endlich mal ohne Gepäck!) auf den Burren, wobei es recht steil bergan geht. Auf zu dem Dolmen, den wir bisher nur auf Postkarten gesehen haben.

Diese sind recht wohlwollend mit dem Dolmen umgegangen. Hauptmerkmal der Postkarten: man kann keine Größenvergleiche anstellen. Und das ist gut so, denn der Dolmen ist vielleicht einen halben Meter höher als ein Tisch.

Offensichtlich eine Kollision zwischen Vorstellung und Wirklichkeit, denn wie kommen wir darauf, dass ein Dolmen riesengroß sein muss?

Eine poetische Seele aus England namens Oliver Cromwell (der „Schlächter“) hat mal über den Burren gesagt: Kein Baum, um einen Mann aufzuhängen, kein Wasser, um ihn zu ertränken, keine Erde, um ihn darin zu verscharren („No tree to hang a man…“). Als Naturwunder ist er aber viel besser.

Man sagt, dass Antagon… Bot… Botanisten hier ihr Andorra… …ähm… Mekka finden, leider haben wir keinen Botanisten gefunden, aber in Ballyvaughan ein gewöhnungsbedürftiges Abendessen im O’Briens, wo „Riverdance“ im Fernsehen übertragen wird, und das eine oder andere Bier.

Vom Burren nach Galway
Samstag, 6.7.1996

Noch ist schönes Wetter.
Noch ist schönes Wetter.
Heute wollen wir um die Galway Bay bis Galway. Wenn möglich, auch etwas weiter. Von den ursprünglichen Ängsten, die Strecke nicht zu schaffen, ist keine Spur mehr. Im Gegenteil. Wir müssen die Räder am Mittwoch in Galway abgeben. Grobe Planung: Fahrt um den Lough Corrib, Dienstag Ankunft in Galway, Quartier suchen, Mittwoch Räder abgeben und auf die Aran-Inseln, dort andere Räder (Mountainbikes!) mieten, Donnerstag die erwähnten Besichtigungen auf den Aran Islands und zurück nach Galway (wenn möglich, dort im selben Quartier, so dass wir die Sachen da lassen können), Freitag mit dem Bus nach Dublin, Sonntag Rückflug.

Der Abschied fällt schon wieder schwer, ein freundlicher Eintrag ins Gästebuch weitaus weniger.

Wir fahren los, nehmen unterwegs ein paar Sehenswürdigkeiten mit, u.a. die Corcomroe Abbey auf einer kleinen Halbinsel nicht weit von der Straße. Die meisten Klöster in Irland sind Ruinen und von den Engländern – hm, ja, ruiniert worden.

Bis zum Mittag haben wir sehr schönes Wetter. Dann jedoch erwischt uns kurz vor Galway der erste richtige Platzregen, der offensichtlich so heißt, weil er einen Luftballon zum Platzen bringen kann. Der (manchmal zweifelnde) Irlandfan steht, sein Regencape über die Fototasche haltend, etwas ungelenk auf der Straße herum. Unter dem Dach eines Supermarktes und den Blicken der Einwohner verpacken wir die Gepächtaschen notdürftig mit Plastiktüten.

Seit diesem Tag verpacken wir die Taschen jeden Morgen. Und zwar gründlich.

Auf dieser Radtour hat es nicht mehr ernsthaft geregnet.

Wir lassen Galway heute jedoch links liegen und nehmen ein Quartier in der Nähe von Oughterard, als wir keine rechte Lust mehr haben. Diese Gegend ist ziemlich zersiedelt, und alle paar Meter stehen an der Straße ein paar Häuser, mal mit B&B, mal mit Pub.

Das Pub, das wir am Abend aufsuchen, ist gerammelt voll, denn im Fernsehen läuft eine Übertragung eines Boxkampfes eines Iren gegen einen Großbriten, wenn man die Boxer nicht kennt und dem Lärmpegel und der Parteilichkeit der Zuschauer Glauben schenken kann.

Der Berg ruft, aber wir hören nicht hin
Sonntag, 7.7.1996

Rückblick beim Abbiegen, seufzend.
Rückblick beim Abbiegen, seufzend.
Auf nach Connemara.

Noch wissen wir allerdings nicht, was uns erwartet, denn zu Anfang ist alles noch ein wenig… unspektakülar.

Aber es wird abwechslungsreich. Es beginnt mit den blühenden Gegenden westlich des Lough Corrib. Nach längerer Fahrt sowie einer Biegung tauchen in der Ferne in Richtung Clifden Berge auf, die sehr schön aussehen und darum auch vom Irlandfan kontoni… andauernd fotografiert werden. Er kann leider weder mit Worten noch mit Bildern so recht beschreiben, wie schön und großartig die Berge aussehen, denn bevor es ernst wird, biegt unsere Straße Richtung Cong ab. Leider.

Wir durchqueren ein Tal am nördlichen Ende des Sees mit nicht einem Baum, aber einigen Bogs und kahlen Bergen.

Was ist das hier, eine best-of-compilation?

Weiter geht es mit Blicken auf den mit flachen Inseln gespickten See. In Richtung Cong wird es dann wieder etwas belaubter und auch waldiger.

Wir fahren mangels Quartieren bis Cong und ziehen in ein einem mittleren Hotel entsprechendes B&B. Es liegt genau gegenüber der Cong Abbey, die am späten Nachmittag von Touristen verlassen ist. Ansonsten ist in Cong trotz der Größe eigentlich eine ganze Menge los. Man empfiehlt uns ein Pub, in dem sogar Musik sein soll.

Diesmal haben wir Pech. Die Musik wird von drei jungen Damen verursacht, die einfach nur öffentlich auf ihren Instrumenten üben und daraufhin vom Publikum eher missachtet werden.

Wir haben Zeit
Montag, 8.7.1996

Cottage to let
Cottage to let

Der Blick auf die Karte ist nicht wirklich verlockend. Wir haben 2 Tage für die gleiche Strecke wie gestern, und der Reiseführer verspricht nichts Großes, aber was ist schon ein Reiseführer. Aus diesen Gründen wollen wir uns Zeit lassen (auch mal was Schönes) und nicht die Hauptstraße nehmen, sondern die kleinsten brauchbaren Nebenstraßen und am See liegen und so.

Das gelingt nur zum Teil, weil die meisten Straßen an Privatgrunstücken enden und der entscheidende Sonnenschein auch Mangelware ist. Gegen Nachmittag ziehen auch noch drohende Wolken auf, und so sind wir froh, als wir in Headford ankommen.

Dieses wirkt wie ein weiteres von diesen Durchfahrtsnestern, etwas kalt und gebraucht.

Anbei liegt zumindest die Ross Errilly Abbey, über schmale Pfade und Weiden erreichbar. Sie ist nun ganz verlassen, praktisch nicht ausgeschildert. Möglicherweise findet man sogar einen verschrumpelten Touristen, der sich in den labyrinthartigen Gewölben verlaufen hat und dann verhungert ist.

Ein handgemachter Hamburger zum Abendessen ist auch mal was anderes.

Back to the future
Dienstag, 9.7.1996

Eyre Square in Galway
Eyre Square in Galway
Angesichts der dunklen Wolkenberge am nächsten Morgen erzählen uns unsere Wirtsleute einmütig, dass das Wetter sehr schön werden wird. Jajaaa…

Wir kommen in null komma nichts trocken nach Galway und suchen in den äußeren Bezirken nach einem B&B. Die meisten sind recht teuer, bis wir schließlich bei einem Haus mitten in einer typischen Neubauwohnsiedlung fündig werden. Nichts ist wirklich ein Problem, und wir dürfen auch unser Gepäck während der Tour nach den Aran Islands hier lassen.

Hiermit ist unsere Tour beendet.

Also ruhen wir uns erstmal aus. Dann besichtigen wir die Stadt, die das ist, was unsere Wirtin bei späterer Rücksprache als busy bezeichnet.

Im Touristenbüro buchen wir eine Fähre auf die Aran Islands (bei Bedarf sind wir auch Studenten, kein Problem), und für die Nacht dort ein Hostel.

Das Bild zeigt den Eyre Square, falls möglich das ruhende Zentrum Galways. Rundherum sind Straßen gefüllt mit Geschäften und Pubs. Auf der Suche nach dem Ablegeplatz der Aran-Schiffe geraten wir zuerst an den Ölhafen (an Schildern der Art „Wenn Sie eine Alarmsirene hören, sollten Sie schnellstens das Gelände verlassen“ kehren wir um), dann auf die Mole mit Strand und schließlich nach ein paar Fragen doch an den Rand des Ölhafens.

Des Abends versuchen wir ins „Quays“ zu kommen, laut Reiseführer (schon falsch) das bekannteste Pub in Galway. Allerdings ist es gerammelt voll. Ein Sondereingang führt ins Obergeschoß, aus dem Musik klingt. Dort wird jedoch schon Eintritt verlangt, und so erinnern wir uns daran, dass wir morgen recht früh losmüssen und verlassen die Innenstadt.

Aran Islands I
Mittwoch, 10.7.1996

So stark geschaukelt hat es dann doch nicht...
So stark geschaukelt hat es dann doch nicht…
Am frühen Morgen fahren wir in die Stadt und beerdigen feierlich unsere Räder bei der Vermieterbande. Natürlich habe ich diesen komischen aber wichtigen Zettel vergessen, das stellt aber kein Problem dar.

Dann decken wir uns mit Lesestoff und Spontanlebensmitteln ein und laufen zum Hafen. Hmmm, also wirklich sonnig ist es heute nicht und windig auch und es regnet ein wenig. Ob das nun der richtige Tag ist, eine Seereise durchzuführen…

Für eine Seefähre ist unser Schiff recht klein und schaukelt entsprechend, auch wenn nicht mal ein Schiffsjunge die anrollenden gewaltigen Brecher überhaupt als Wellen bezeichnen würde. Bevor jemand etwas Falsches denkt: wir haben das Schiff mit dem gleichen Gewicht verlassen, mit dem wir es betreten haben. Es wäre klug, jetzt noch nicht an die Rückfahrt zu denken, aber wir sind nicht klug.

Am frühen Mittag treffen wir in Kilronan, dem Hafen auf Inishmore, ein. Auf dem Kai warten schon Kleinbusse in rauen Mengen, um die Touristen herumzufahren. Wir wollen aber lieber wieder Fahrräder mieten.

Im Hafen hängt ein Schild, auf dem steht: Ärger – Kein Zutritt.

Mit Mountainbikes kann man sich hier totwerfen, und aus statistischen Gründen findet man nach kurzer Suche in den langen Reihen sogar welche, bei denen sowohl Schaltung als auch Bremsen in einem akzeptablen Zustand sind.

Allerdings quietschen die Bremsen aller Mietfahrräder lautstark, und das wirkt auf der Insel so ähnlich wie diese kleinen Sender, die man an einen Wal klebt, um herauszufinden, was der so den ganzen Tag macht und wo.

Dann besichtigen wir unser Quartier. Alt, tot und muffig und zum Aufenthalt im Vollbesitz eventuell vorhandener geistiger Kräfte völlig ungeeignet. Wir besichtigen auch den örtlichen Spar-Markt. Die bunten Artikel passen irgendwie nicht so recht mit der Inselwirklichkeit aus Touristensicht zusammen. Ein paar Fischer laufen mit Wollsachen und Gummistiefeln über Kacheln, an Plastikregalen mit Dosenfisch vorbei.

Weil wir die Forts erst morgen besuchen wollen (wenn die Tagestouristen noch nicht da sind) fahren wir um die Bucht von Kilronan herum an das östliche Ende der Insel. Dort gehen die Weidegrundstücke plötzlich in eine stufige Felsküste über, die aber leicht zu erklettern ist.

Dort spielen wir Schach, und rückblickend sind das mit die schönsten Stunden dieses Urlaubs. Man beobachtet die Zeit beim Vergehen, wie man im Englischen so schön sagt, und ein schönes Land, das Meer und die Küste machen mit.

Zum Abend fahren wir nach Kilronan zurück, um die Fähren ablegen zu sehen, und danach wird es merklich ruhiger auf der Insel. Schön, wirklich.

Trotzdem ist natürlich im Pub ein bisschen was los, und das ist auch schön.

Aran Islands II
Donnerstag, 11.7.1996

Where are you going?
Where are you going?
Bei Erwachen regnet es. Doch wir stehen unter Zeitdruck: halb zwölf legen die Fähren an, und dann ist die Ruhe im Eimer (mit der Reife des Alters erscheint das natürlich als ziemlich hysterischer Unsinn, aber damals fanden wir das eben so). Nebel zieht auf. Wir imprägnieren uns und fahren los. Kurz darauf geben 50% von uns wegen Nässe auf und fahren zurück. Der Irlandfan ist eine Weile hin- und hergerissen, sinniert über wasserdichte Regenjacken, die so wasserdicht sind, dass sie das Wasser, das hereindringt, daran hindern, wieder hinauszudringen („Damp 2000“), und entscheidet sich dann aber für die Weiterfahrt. Das ist gut so, wie man noch sehen wird. Schließlich ist es ja auch seine Kamera.

Vor Dun Aenghus liegt noch ein anderes Steinfort, von dem nichts im Reiseführer stand, und heißt Dún Aran. Den Weg zeigt eine Figur eines Kelten. Nun, es regnet eh, und so lässt der Schriftführer das Rad liegen und läuft auf den Berg. Ein Schloss mit einem Leuchtturm löst sich aus dem Nebel.

Hinter dem Schloss (oder was auch immer das war) gerät man in ein Gewirr aus Gräben, halbverfallenen Steinmauern und hohem nassen Gras, in dem man ständig ausrutscht. Langsam kristallisiert sich ein hoher Steinring aus dem Nebel, und der Schriftführer erhält dafür eine Ohrfeige von der Gesellschaft zur Rettung der deutschen Sprache. Im Steinring gibt es Schutz vor Wind und Regen. Dann hört es auf zu regnen. Der Nebel bleibt – es ist einfach phantastisch. Steinmauern und Wiesen verschwinden geheimnisvoll im Dunst und wie es gerade hier aussieht auch in der Zeit, aua. Seltsam still ist es auch.

Zurück und weiter, die ersten Touristenbusse treten auf. Undeutliche Leute hinter beschlagenen Scheiben.

Aus dem Nebel scheinen nur Steinmauern und Ruinen aufzutauchen. Sie erinnern den Irlandfan an einen Satz von Heinrich Böll: „Die Steine der irischen Mauern würden ausreichen, den Turm von Babel zu erbauen, aber die irischen Ruinen beweisen, dass es zwecklos wäre, den Bau zu beginnen.“

Dún Aenghus besteht heute aus mehreren (konzentrischen) halben Ovalen an der Steilküste, deren andere Hälften vielleicht schon ins Meer gestürzt ist, aber das kann einem keiner sagen. Die Steilküste ist knapp 100 Meter hoch, und das einzige, was einen daran hindert, auch hinunterzustürzen, ist ein Schild: „Vorsicht Abgrund – Vorsicht, glatte Steine“. Mit Mühe und viel Einbildungskraft erkennt man ein paar Schaumkronen auf dem Meer. Jemand hat einfach den Felsen abgebissen.

Eine Weile treibe ich mich noch hier herum und nehme dann dankbar in der Cafeteria einen heißen Tee zu mir.

Zurück in Kilronan gehen wir ins Kino und schauen uns „Man of Aran“ an, einen alten Stummfilm über das harte Leben auf den Inseln.

Unsere Fähre nach Galway sieht diesmal eher aus wie ein Hochseeschlepper und versorgt scheinbar auch die Insel mit Waren. Trotzdem schaukelt sie und schlecht ist mir auch, deshalb sitze ich lieber an Deck im kalten Nieselregen. Da ist die Luft nicht ganz so voll von mit Alkohol-, Fett- und Zigarettendämpfen angereicherten Dieselabgasen und die Reling ist auch näher, obwohl ich ihre Dienste nicht in Anspruch nehme.

Homeward Bound
Freitag, 12.7.1996

In Dublin
In Dublin
So langsam geht es Richtung Heimat.

Ooooch. Jetzt schon?

Wir schleppen unser Gepäck durch halb Galway (war eigentlich doch ganz gut mit den Fahrrädern) und besteigen den Bus nach Dublin. Von der Gegend bekommt der Irlandfan nicht viel mit, seine Gedanken pendeln zwischen Gestern und Morgen, da ist kein Platz für Heute.

In Dublin geraten wir auf der Suche nach unserer (telefonisch vorbestellten) Unterkunft in arge Konflikte mit der Unsitte, Straßen an jeder Kreuzung umzubenennen. Der nicht mal für Notfälle zu empfehlende Stadtplan im Reiseführer zeigt einen Straßennamen, der ungefähr passt, und wir laufen los.

Erstens ist es immer weiter, als man meint. Zweitens fehlen einige Straßen auf unserer Karte und offensichtlich auch einige in der Realität. Viertens haben wir, ohne es zu wissen, ein viel grundlegenderes Problem. Fünftens habe ich im allgemeinen Chaos das Drittens vergessen.

Wir haben letzten Endes ein Taxi genommen. Im Taxibüro erklärt man uns das mit Lower und North und so weiter, dann fährt uns ein netter Fahrer über abenteuerliche Seitenstraßen ans Ziel. Man bezahlt nach Zonen, und schon hat ein Taxifahrer einen guten Grund, sich zu beeilen.

Dublin ist etwas teurer als die Provinz, besonders was Unterkunft und Essen und Touristen betrifft. Aber es gehört dazu.

In Dublin haben wir aus Zeitgründen kaum die amtlichen Sehenswürdigkeiten betrachtet (die Guinness-Brauerei liegt leider etwas außerhalb), sondern sind nur im Zentrum ziellos herumgelaufen. Eine Brücke, die breiter als lang ist (8 Spuren) führt über die Liffey. In der O’Connell Street konzentrieren sich Kinos, große Geschäfte und je 4 Filialen von McDonald’s und Burger King.

An dem Denkmal für Daniel O’Connell (der die erste irische katholische Massenbewegung gründete) kann man noch Spuren des Bürgerkriegs sehen.

Die Abbey Street ist extrem voll. Es ist eine große Einkaufsstraße, aber man kauft nicht nur in den Geschäften. Auf der Straße stehen alle paar Meter harmlos aussehende Leute, die dem verschreckten (und lediglich passivrauchenden) Passanten „Cigarettes two pounds“ ins Ohr brüllen.

Des Abends nehmen wir unser letztes Guinness ein, und morgen geht es zum Fluchhafen.

Ein Gedanke zu „Tagebuch 1996“

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