Tagebuch 1997

Vorbetrachtung

Ein Jahr später ist der Irlandfan, diesmal alleine, wieder hier. Der Irland-Effekt, wahrscheinlich. Geplant ist diesmal eine eingehendere Besichtigung von Killarney und Umgebung, anschließend zwei Wochen Englischlernen im Kilcatherine English Centre auf der Halbinsel Beara, und dann – mal schaun, vielleicht ein paar Tage nach Connemara oder so…

Es geht los
Freitag, 3.10.1997

Dorthin!
Dorthin!

Der (ein wenig zu lang) erwartete Tag ist heran. Obwohl es Herbst ist, begibt sich der Irlandfan doch woandershin, nämlich auf einen der längsten und umständlichsten Wege, ein Guinness zu trinken. Er ist froh. Den ganzen Sommer hat er gearbeitet und sich auf Irland gefreut.

Das Land der sprechenden Toiletten versucht ein paar der Gründe, es zu verlassen, mit mir zu exportieren. Das fängt auf dem so genannten Flughafen von Berlin-Tegel an. Vernünftige Parkplätze gibt es nur im Halteverbot, dort aber keine Gepäckwagen. Abflugpläne muss man suchen, und zwar mit einer starken Brille. Die Damen an den Eincheck-Schaltern geben den Druck, unter dem sie zu stehen glauben, mit Zinseszins an die Fluggäste weiter. Einen Apfel gibt es nur, wenn man Business-Class gebucht hat.

Die Passagiere: eine vierköpfige Familie („Hast Du was gesagt?“ – „Nein, das war gestern.“) wirft grundlos arg finstere Blicke um sich; eine nicht weniger sauertöpfische junge Frau, Marke Top-Model für „die neueste Brühe für Ihre Haare“; ihr muskelbepackter gefärbter Freund, der die Brühe offensichtlich getrunken hat. Vielleicht ist es ja so, dass im Angesicht eines dräuenden Kontaktes mit der großen weiten Welt jeder versucht, sein Wunschimage herauszukehren.

Ein paar sächsische Mitbürger schrauben an ihren nagelneuen Kaufland-Fohrrädorn herum, weil sie erst beim Einchecken mitgeteilt bekommen haben, dass die Pedale abgebaut werden müssen.

„Ei Siggi jetz häre abbamma off mit däm Vochod, des gäht doch so gor näh.“

Von einem Hausmeister borgen sie sich einen großen Hammer und werden beim Hantieren damit von dem Model über den Haufen gerannt und mit dem Spruch „Passen Sie doch auf!“ belegt. In solch kontrollierten Situationen hilfreich und willkommen.

Großhirn an Zehennägel: Hochrollen! Zum Glück geht dieser Flug nur bis Frankfurt.

Der Irlandfan will nach Irland!!
Dort angekommen (they left us up were we belong, nicht wahr) staunt er über die eben eingereisten und ebenso verwirrt wie er herumlaufenden Ausländer und nimmt den Aerlink zum Busbahnhof. Die Stadt ist diesen Herbst wärmer als im letzten Sommer (wie sagt doch Mark Twain: „Der kälteste Winter, den ich je erlebt habe, war ein Sommer in San Francisco“).

Am „Busaras“ (wieder eins dieser gälischen Wörter, von denen keiner weiß, was sie bedeuten) kaufe ich ein Ticket von Bus-Eireann (Ha!) nach Killarney. Danach schlendere ich noch ein bisschen herum, fotografiere, esse eine undefinierbare Grässlichkeit und schalte langsam auf Irland um. Auch die Kamera, die zu Hause vor sich hinsäuerte und nun loslegen muss.

Im Bus gerät der Irlandfan in eine mittelschwere Touristenpanik vom Typ „Ich bin im falschen Bus, und wo ist mein Gepäck?“, und das nur, weil man über Limerick fährt. Ich müsse dort umsteigen, heißt es, und die restlichen Fahrgäste fahren nach Tralee weiter. In Limerick müssen alle aussteigen, weil dieser Bus nach Killarney fährt. So.

Reisen ist stressig. Stichwort Reizüberflutung.

Der Busbahnhof in Limerick findet mit etwa 30 Bussen, 15 Stellplätzen, 800 Leuten und einer Eisenbahnstation auf der Fläche einer Briefmarke Platz. Daher ist alles etwas gedrängt (Faustregel: wo kein Bus steht, stehen Leute; vielleicht ist das der Grund, warum Heinrich Böll Limerick so niedermacht, obwohl es sehr friedlich hier aussieht). Die Mehrzahl der Fahrgäste sind junge Leute aus Ir- und England, und mir fällt etwas auf, was ich letztes Jahr nicht bemerkt hatte (warum eigentlich?): Muttersprachler bringen es fertig, in einem Atemzug einen gewissen Jayses ob irgendeines fuckin Missstandes anzurufen. Und mein Englisch sah auch schon mal besser aus. Aber dafür bin ich ja hier.

In Killarney bei starker Dunkelheit eingetroffen, gestaltet sich die Suche nach einem B&B mit Einzelzimmer schwierig, zeitraubend und letzten Endes auch als teuer. Und nun geht der Irlandfan in die Stadt, ein Guinness trinken.

So, angekommen.

Die Gewöhnungsphase dauert bestimmt morgen noch an, vielleicht die ganzen 2½ Wochen, aber: angekommen.

Eine Radtour in Killarney
Samstag, 4.10.1997

Drive left!
Drive left!

Zum Frühstück (um 10) plaziert mich die Wirtin an einen Tisch, an dem schon eine ältere etwa dreiköpfige Familie sitzt, sagt: „That’s the Irlandfan from Germany“ und geht Tee brühen. Aus der Sicht der Iren sind die Kontinentaleuropäer alle etwas verklemmt und müssen beinahe schon mit Gewalt zur irischen Version von Small Talk gezwungen werden. Aber die Rechnung geht auf. Die Familie ist aus Holland, gestern auch in Dublin angekommen und mit einem Mietwagen hier heruntergefahren. Und – dann natürlich die obligatorische Frage: „Aus werlche Teil van de Deutschland komme Sie?“ – Der Irlandfan (korrekt – zurückhaltend – hinterhältig/doof) antwortet „Berlin“, denn auf Dauer nervt die ewige Frage nach Ost und West schon.

Nach dem Frühstück informiert mich die Wirtin über „Was es hier so alles zu besichtigen gilt“. Mein Plan, ein Fahrrad zu mieten und durch den Killarney National Park fahren, wird genehmigt. Dann gibt es noch etwas weiter einen Aussichtspunkt und noch weiter eine tolle Schlucht. Schau mer mal.

Sie hat dann zwar noch was erzählt von Stränden, Kirchen, Bergen, Denkmälern und Sonderbäumen, aber wer soll sich denn dit allet merken. Vorher telefoniere ich noch mit dem Kilcatherine English Centre. Netterweise kann man mich hier aus Killarney abholen, morgen nachmittag. – Klasse, dann habe ich hier praktisch zwei Tage.

Killarney ist jetzt – außerhalb der Saison – voll wie immer, jedoch fast nur Iren, eine Truppe Engländer, drei Holländer und ein Deutscher. Gott sei Dank, Killarney ist so wie immer. Es ist schwer, sich ein funktionierendes Killarney ohne Touristen vorzustellen.

Hier vermietet anscheinend jeder dritte Laden Fahrräder, und ich erhalte ohne Probleme ein Mountainbike (wir hatten da letztes Jahr so unsere Erfahrungen). Auf geht’s Richtung Süden, wobei ich manchmal noch auf der falschen Straßenseite fahre (es ist erstaunlich, wie schnell so große Busse ausweichen können). Zum Glück kann ich die Straße bald verlassen, als ein Parkeingang erklärt, er könne keine Autos, sondern nur Radfahrer, Fußgänger und Droschken durchlassen.

Letztere sind ein Symptom für ein weltweites Phänomen. Hier um Killarney gibt es an jeder Ecke diese „Jaunting Cars“. Warum? Was bringt Ansässige auf die Idee, Urlauber hätten die Gegend auf eine vorbestimmte historientümelnde Art zu besichtigen? Spontan fallen ihm dazu noch die Kamele an den Pyramiden bei Kairo, die Esel in Petra und …äh… die Gondeln in Venedig ein. Vielleicht ist der Irlandfan nur deshalb sauer, weil die Pferde auf die Wege exkrementieren (dem Gegenteil und der unvermeidlichen Folge von inkrementieren, offensichtlich) und ihm beim Vorbeifahren (oder Durch-) immer die Fliegen zwischen den Zähnen stecken bleiben.

Spätestens jetzt kommen deja-vu-artig die ganzen Erinnerungen ans letzte Jahr wieder, gebunden an Gerüche, die Landschaft, Geräusche, die Fototasche am Fahrradlenker, ja selbst die irische Art, Straßen zu bauen. Das war klasse. Und jetzt ist es auch klasse.

Der Park ist wunderschön. Erst kommen noch ein paar Weiden (… also… Kuh…-…Weiden), dann wird es immer ur-wald-sprünglicher. Ich gerate kurz an die Muckross Abbey und fahre dann eine längere Tour auf einem wunderschönen Radweg zwischen und an den Seen entlang (das Wort wunderschön hatten wir schon mal, nur gehen dem Schriftführer schon am ersten Tag die positiv belegten synonymen Adjektive aus).

An einem Durchfluss zwischen den Seen gibt es zwei Brücken: die amtliche und die Old Weir Bridge. Ich entschließe mich zu einem Abstecher, muss jedoch bald das Fahrrad liegen lassen und zu Fuß über Holzbohlensteige, Kletterseile und Minenfelder weitergehen. Das einzig Spektakuläre an der Brücke ist wahrscheinlich ihr Alter. Und vielleicht noch das Gefühl, sie zu benutzen, ohne eine statische Analyse durchgeführt zu haben. Eigentlich ist die Old Weir Bridge amtlich.

Nach einer Pause am Seeufer geht es auf der echten Straße weiter, die unter anderem zum Ladies View führt. Hier wird die Vegetation etwas spärlicher, dafür hat man eine schöne Sicht über ein paar Täler und Seen, also sozusagen rückwirkend auf den Nationalpark. Es sind etwa 17 Grad, es ist größtenteils sonnig und kaum windig.

Aber wenn Wind weht, kommt er immer von vorn.

Ladies View
Ladies View

Der Ladies View heißt Ausblick der Damen, weil hier vor längerer Zeit die Hofdamen einer dem Schriftführer unbekannten englischen Königin ob des wundervollen Ausblicks zu lustwedeln pflegten. Er meint in der Namensgebung den Humor der Iren wiederzuerkennen: wer oder was wird denn beim „Ladies View“ betrachtet, das Tal oder Ladies?

Auf dem Weg dorthin bleibt meine ohnehin lachhafte Kondition auf der Strecke, da es ziemlich lange und steil bergauf geht. Hoffentlich gibt es da oben was zu trinken. Es gibt. Tee. Dann fühle ich mich kräftig genug, mal die Aussicht zu besichtigen. Es ist schön (weit) und spektakulär, leider ist gerade die Sonne verschwunden. Außerdem habe ich ein paar Leute und deren Autos (faule Bande) im Bild, deshalb steige ich auf einen moorigen Felsen etwas unterhalb. Aber auch da bin ich nicht der einzige: „Be careful, John, it’s very boggy over there…“, ruft eine ältere Dame ihrem Mann zu. Ich stehe nicht zum letzten Mal in diesem Urlaub bis an die Knöchel in ziemlich dickem Wasser (das sagt sie John aber auch erst, als er drinsteht). Was haben John und der Irlandfan auch am Ladies View zu suchen? Wie sind die Ladies hier eigentlich wieder rausgekommen? Heißt es in Wirklichkeit „Ladies Viewing at men who are trying to get out of the mud„? Fragen über Fragen.

Da es nun noch relativ früh am Morgen ist (14 Uhr), entscheide ich, weiter durch das Gap of Dunloe („Kluft von Dunloe“, nicht zu verwechseln mit dem Gay of Dunlop’s) und somit eine Ringtour zu fahren. Das ist das Schöne am alleine reisen.

Ich fahre – schiebe – etwa 10 Minuten weiter steil bergauf. Irgendwo teilt sich die Straße, und ich frage eine Frau nach dem Weg. Sie verkauft in einer nach einem entsetzlichen room freshener stinkenden überheizten Baude (so eine Art C&A für Schafswolle) unheimlich dicke Wollpullover. Die irischen. Die deutsche Assoziation wäre Öko, hier leider weniger mit dem Suffix „nomisch“, und aus beiden Gründen kaufe ich keinen. Nach Weisung der Frau muss ich hier nach rechts in ein großes Tal hinab. Die erste Steilabfahrt in Konsequenz des ersten Steilanstieges. Die Logik sagt zwar, dass ich heute abend in Killarney wieder bei +/-0 angekommen sein werde, aber die Logik hat Mundgeruch, und meine Erfahrung mit Straßen in Irland widerspricht ihr auch.

Die Abfahrt macht einen Riesenspaß, jedoch mit Rücksicht auf die engen Kurven und die zweifelhafte Arbeitsmoral der Bremsen muss ich mich etwas zügeln. Im Tal angekommen sieht die ganze Gegend so aus, als ob die Straße jeden Moment an einem Gartentor endet. Allein ich treffe auf eine Wandergruppe französisch sprechender Leute in grellbunten Jacken mit Rucksäcken. Also doch („Do you live here?“ – „No no no…“). Als die Straße wieder etwas bergauf geht, finde ich sogar eine Mischung aus einem kleinen Café und einem Laden.

Gap of Dunloe
Gap of Dunloe

Nach einem weiteren Pedalkampf stehe ich auf dem Höhepunkt des Gap of Dunloe und meiner hochgebirgsinkompatiblen körperlichen Leistungsfähigkeit. Dafür habe ich einen eindrucksvollen Ausblick in die Landschaft. Das Gap ist eine ansteigende Schlucht (etwa 3-4km) mit einem Bach, ca. 2000 Schafen, zahlreichen Seen und einer Straße. Und 50 Droschken.

Offiziell erklimmt man das Gap aus Richtung Killarney. Hier steigt es nicht so steil an (Natürlich. Wie sollte es anders sein). Man gerät von Killarney kommend an Kate Kearney’s Cottage (das ist ein offizieller Ortsname für eine Ansammlung von Häusern mit Läden, Cafés und einem Reiterhof sowie einer Unmenge von Hunden) und nimmt sich dort eine Droschke oder ein Pferd. Bei letzterem läuft der Halter nebenher, was erniedrigend und sinnlos ist: Schrittgeschwindigkeit kann man auch laufen. Deshalb findet man auf den Tieren auch verstärkt Leute, die wissen, dass ein Irlandurlaub aus Sitzen auf Tieren zu bestehen hat. Oder das ganze Leben.

Es macht Spaß, mit dem Fahrrad einfach mal schnell zu rollen. Muss ich ja keinem sagen, dass ich auf der Schotterpiste zweimal beinahe ums Leben gekommen wäre.

Bei besagtem Cottage angekommen finde ich den erwarteten Touristen-Sammelpunkt Gap of Dunloe. Nebenan eine Pferdefarm mit Hunderten von Leuten, die alle irgendetwas zu tun scheinen (und sei es nur Warten auf Kunden) und Droschkenwarteplatz Typ B.

Die verhältnismäßige Leere und Eintönigkeit der Landschaft auf dem Weg nach Killarney kann der Schriftführer nur dadurch verdrängen, dass er nicht darüber schreibt. Außerdem hat er ein wachsendes Bedürfnis nach einer heißen Dusche.

60 Kilometer sind am ersten Tag ja auch nicht ganz ohne.

Nur in Killarney betrachtet er kurz ein Domkirchenkathedralenmünster oder was das ist (Nachtrag: die St. Mary’s Cathedral) mit einem Nadelbaum. Bei einem weiteren Stop überlegt er, wie die Iren wohl die Markenbezeichnung „Liebherr“ aussprechen („Lipe… Leeher… Laiper… well them guys who build cranes…“), denn hier steht ein Werk.

Noch eine Radtour in Killarney und außerdem geht’s heute auch nach Beara
Sonntag, 5.10.1997

Wer die Kamera hat, braucht für den Spot nicht zu sorgen.
Wer die Kamera hat, braucht für den Spot nicht zu sorgen.

Der nächste Tag ist der Tag zum Vervollständigen meiner Checkliste. Darauf stehen eine Art altes Schloss oder Herrenhaus (Muckross House), das Ross Castle und (in Klammern) Inisfallen Island mit einer alten Abbey.

Die Sonne scheint heut seltener als gestern, dafür aber leicht spotmäßig durch wandernde Löcher in den Wolken. Insofern ist es eigentlich schöner.

Auf den beschriebenen Radwegen kommt der Irlandfan zum Muckross House, gibt der drängenden Versuchung nach, das innenliegende Museum nicht zu besichtigen und besichtigt stattdessen die Grünanlagen. Es gibt da einen typisch englischen Park mit großen Wiesen, strategisch gepflanzten Bäumen und typischen Engländern und gleich um die Ecke eine Blumen- und Strauchwildnis, die nichtsdestotrotz auch geplant erscheint. Und heute bekommt er zum ersten mal richtig mit, dass hier überall wildwachsende Palmen herumstehen. Nicht nur im Park. Überall.

Dann bringe ich etwa eine Stunde damit zu, in und um Killarney sinnlos auf der Suche nach dem Ross Castle herumzufahren. Schlussendlich finde ich doch ein Hinweisschild, das ich offensichtlich mindestens dreimal übersehen habe. Ich finde das Castle, aber mit Schildern kann das ja jeder. Vor dem Castle liegen ein Parkplatz und eine Menge Pferdemist. Dann also die Burg. Wie Burgen halt sind. Trotzig. Hohe Mauern. Türme. Wehrgänge. Ein WC. Eine Bude mit Ansichtskarten. Schießscharten.

Oh, hier ist ja sogar ein Hafen … also … dieses Betonpier da. Von hier gelangt man nämlich auf eine Insel mit Klosterruinen, oder man macht eine Rundfahrt über die Seen. Ein paar Leute fahren einen mit kleinen (motorisierten) Booten herum. Auf dieser Tour bin ich allein mit dem Bootsbesitzer, es ist halt off-season, und wir fahren nach Inisfallen Island, die erwähnte Insel. Auf der Fahrt unterhalten wir uns über die Gegend, wobei der Mann ab und zu informative Dinge über die Insel und den Carrauntoohill (1038m, der höchste Berg Irlands, der muss hier irgendwo in der Nähe sein) fallen lässt und den Irlandfan eben typisch irisch über sein Leben, sein Gehalt und was er so in Irland macht „aushorcht“.

Beim Anlegen
Beim Anlegen

Auf der Insel angekommen will er zurückfahren, um auf Kundschaft zu warten. Der Irlandfan könne einfach herumlaufen, und wenn er zurückwill, soll er sich ans Ufer stellen, wo ihn der Bootsfahrer sieht und dann abholt. Komplett kostet das 3 Pfund. (Ich werfe kurz einen orakelhaften Blick in die Zukunft, in den Sommer 1999, und stelle fest, dass dies wirklich nur die Off-Season-Preise sind.)

Der Irlandfan ist allein auf einer kleinen Insel auf einem See mit ein paar alten Ruinen. Traumhaft. Zuerst ist es ja sehr merkwürdig, doch nach einer Weile genießt man das richtig. Dass man ganz alleine eine Sehenswürdigkeit betrachtet ist wirklich selten.

Das hier ist der derzeitige Traumplatz des Irlandfan auf dieser Welt. Das sagt etwas über ihn, aber nur in Teilzeit.

Neben der Abtei entnehme ich einem Schild unter anderem, dass es ein Stück weiter nordöstlich noch eine kleine Kirche gibt, an der ein paar irgendwie präzeitliche „Monster“-Köpfe zu sehen sind. Nach kurzer Orientierung an der Karte führt mich die Suche nach diesem Kirchlein um die ganze Insel, meine Vorstellung von Norden einmal um die keltische Windrose und somit meinen (weniger keltischen) Kartenverstand ad absurdum. Ich bestreite nicht, dass dieser Weg grundsätzlich sehr schön ist, denn die ganze Insel ist ein einziger Urwald, zwischendurch ein paar Ausblicke auf die Seenlandschaft und die umliegenden Bergwälder. Den Weg erkennt man sehr leicht daran, dass die Farne nicht so dicht stehen und man zwischen den Tierspuren, deren Urhebern man lieber nicht im Dunkeln begegnen möchte (Schafe zum Beispiel), mit viel Glück einen menschlich-touristischen Fußabdruck findet.

Letzten Endes habe ich die Insel einmal umwandert, ohne die Monster oder einen anderen Pfad zu finden. Ich stöbere noch mal die Abtei durch, scheuche dabei eine Menge Vögel und einen transsylvanischen Bären auf (im Nachhinein erscheint mir das selber unglaubwürdig) und entdecke mehr zufällig an der Ruine, an der ich vor einer halben Stunde schon stand, ein paar verwaschene Huckel, die sich als das gesuchte Viehzeug herausstellen. Eher Südosten.

Zurück in Killarney habe ich Schwierigkeiten, das Fahrrad loszuwerden, weil der Laden unbesetzt ist. Eigentlich möchte ich das Gerät schon persönlich zurückgeben, wer weiß, vielleicht brauche ich meinen Ausweis, als Pfand hinterlegt, irgendwann noch mal. Ein Zettel weist mich an, eine ominöse Nummer anzurufen, und ich lasse mich von einer verschlafenen Göre unterweisen, an die „back door“ eines Pubs zu klopfen und zu warten. Dann käme da jemand und würde den Laden aufschließen. Zwar etwas kompliziert, dafür aber utopische Öffnungszeiten.

Nachdem auch das geklärt ist und der Irlandfan seinen Ausweis wiederhat, kauft er in der Stadt noch ein paar Souvenirs, unter anderem ein T-Shirt mit einem arg pathetischen Spruch über den Celtic Rebel („The sword of a man is truth…“) und ein paar bedingt witzige Postkarten, die vor allem das typische Image eines Iren im Rest der Welt zum Thema haben, und wahrscheinlich hier dementsprechend beliebt sind. Eine ist da aber auch mit neuen Murphy-Gesetzen („Celibacy is not hereditory“ und „Never argue with a fool, people might not know the difference„).

Während der Irlandfan darauf wartet, abgeholt zu werden, grübelt er über ein Werbegedicht nach, das an einem Pub hängt. Es zeigt zunächst eins der Identifikationssymbole der Firma Guinness, einen Tukan (toucan) und danach dieses lyrische Kleinod:

If he can say as you can
„Guinness is good for you“ (- dies der Slogan der Firma Guinness)
Oh he must be a happy toucan
just think what toucan do.

Kurz darauf ist Frau O’Carroll vom Kilcatherine Englisch Centre da, und wir verlassen Killarney über Kenmare auf die Halbinsel Beara. Schon im Auto erhält der Irlandfan die ersten lessons. „You’ll hate me for chasing you with the conditionals.“ – „I want to learn, so I can’t hate you if you would chase me with those ‚conditionals‘.“ – „Grrr.“ – „Ähä… chose?“

Ein weiteres ergiebiges Gesprächsthema ist die irische Art, Auto zu fahren, unbelästigt von Gedanken über sehr enge Straßen, überraschende Kurven, unübersichtliche Einmündungen und kreuzgefährliche Steigungen. Frau O’Carroll sieht das eher gelassen. Das wirklich Gefährliche, sagt sie, während sie bei Gegenlicht über einen ziemlich alten eierig fahrenden Radfahrer springt, seien gerade im Sommer die Wohnmobiltouristen, die von der Landschaft motiviert, also oft und unvermittelt, anhalten und auch sonst nur hinderlich sind.

Im Kilcatherine English Centre wird der Irlandfan kurz in die Protokolle und Etikette eingeführt und verfällt anschließend einem gleichfalls anwesenden nicht mal eine Woche alten Katzenbaby, das noch nicht sehen kann, sich aber laut maunzend an allem festklammert, was warm ist.

Schöne Ferien.

Lückenhaftes auf Beara
Montag, 6.10.1997, bis Sonntag, 19.10.1997

Über die Zeit im Kilcatherine English Centre berichtet der Schriftführer unchronologisch nur die Ereignisse, die ihn mit der touristischen Seite Bearas verbinden. Der Englischunterricht ist a) sehr hilfreich, jedoch b) schriftlich schwer wiederzugeben und c) für Unbeteiligte auch nicht so wahnsinnig spannend.

Zwei tote Schlösser

Unbekannt verzogen
Unbekannt verzogen

In Castletownbere, einem netten kleinen Fischerstädtchen, lässt sich der Irlandfan den Weg zu zwei Schlossruinen beschreiben: dem Dunboy Castle und dem O’Sullivan Bere Castle. Ganz leicht zu finden.

Heute ist hochsommerliches Wetter, irgendwelche Insekten summen in üppigen Brombeerhecken an der Straße. Mir ist es entschieden zu warm, es ist ja immerhin Oktober.

Kurz vor dem Ende des Ortes biege ich in eine Seitenstraße, weil laut handgemaltem Schild dort oben irgendwo ein unerwarteter Steinkreis sein soll. Das scheint dann aber etwas weit und ein Besuch wird aus Zeitknappheit – wenn es so etwas in Irland gibt – aufgeschoben.

Etwa eine halbe Stunde hinter Castletownbere steht ein kleiner Turm an der Straße, an dem ein mit „Dunboy Castle“ beschrifteter Weg vorbeigeht. Er führt mich zu einer Hütte mit einer unbemannten kleinen Schachtel, die Eintrittsgeld kassiert. Weit und breit keine Menschenseele. Man gelangt über eine Farm, eine Kuhweide und nach Überwindung diverser Selbstzweifelanfälle bezüglich der Laufrichtung zu einer Ruine auf einem Hügel. Ahh, das Dunboy Castle. Irgendwann in den Dreißigern von der IRA niedergebrannt.

Der ganze Trip wird einigermaßen gespenstisch. Die Sonne scheint, die Vögel zwitschern, es ist warm. Das tritt aber angesichts einer völlig verlassenen Gegend, Gott allein weiß wie gefährlichen Kühen, eines Wagens mit Kampfbienen, eines toten Schiffswracks in einer schlammigen Bucht und nach einem Abstecher in das Schloß (dunkel, verfallen, wildwuchernde Spontanflora und ein im Halbdunkel, nummerierte Blitze schleudernd, vor sich hin kichernder ‚Count‘) irgendwie in den Hintergrund, warum, schwer zu sagen. Vielleicht liegt es an der Einsamkeit. Oder weil man im Allgemeinen hier viele Besucher und einen Eisverkäufer erwartet. Und falls das des Irlandfan erster Kontakt mit dem vielbesungenen Erlebnistourismus ist, hat er doch kein Problem damit.

Es ist warm.

Und dann soll da noch ein Stück weiter eine Ruine eines noch älteren Schlosses liegen. Als die Straße in einer matschigen Wendeschleife endet und nur noch ein kleiner Pfad in einen Wald führt, will der Irlandfan schon umkehren. Aber er klettert noch auf einen Wall, um einen Blick auf Bere Island zu werfen. Dabei stellt sich der Wall als überwucherte Mauer und Beginn des gesuchten Bauwerks heraus. Das ist nicht mehr ganz so schaurig und der Irlandfan steigt zwischen den Mauern herum, bis er merkt, dass das auf Dauer sinnlos ist, auch weil er dauernd ausrutscht, und irgendwann geht ihm dabei womöglich die Kamera ein.

Was den Steinkreis betrifft: aufgeschoben ist nicht aufgehoben.

Passend zum heute Erlebten beinhält die lesson den Unterschied zwischen „to set fire“ und „to start a fire“ und die ersten Hinweise zum Thema Zeitformen (die aber gerade im Englischen wirklich schwer zu begreifen hatten).

Auf dem Beara Way

An einem anderen Tag soll es von Eyeries nach Allihies gehen. Der Irlandfan, nämlich. Den Beara Way, das fußläufige Gegenstück zum Ring of Beara, dem Beara-Gegenstück zum Ring of Kerry, hat man professionell ausgeschildert, mit einem Pflock, einem Typ mit einem Rucksack drauf (man fühle sich veräppelt) und einem Pfeil. Das Wetter ist wunderschön und windig.

Der Way nutzt streckenweise eine sehr alte Straße und ist abgesehen von der manchmal erstaunlich hohen Feuchtigkeit auf dem Weg sehr gut zu bewandern. Der Irlandfan hat auf der Wanderung schätzungsweise 5 Leute gesehen und gesprochen: ob denn das hier noch der Beara Way ist. Woraus sich in Irland trotz offensichtlicher Fadenscheinigkeit unweigerlich ein längeres Gespräch entwickelt – etwa so:

„Ho’dun?“ – „Ho’dun?“ (das ist genuschelt und bedeutet „How‘ ya doin‘?“, was wiederum die Kurzform von „How are you doing?“ ist.)
„Ah, perhaps you can help me, is this the Beara Way?“
„Yeah, look, it’s signposted over there.“ (Der Blick wandert 3m weiter.)
„Oh! Thanks a lot.“
„Are you a tourist?“

Blick auf Allihies
Blick auf Allihies

Auf den ersten zwei Dritteln führt der Weg etwas höher an den Bergen entlang, und der Irlandfan hat einen Blick über Beara und Kilcatherine bis hinüber nach Kerry, bekanntlich die nächste große Halbinsel von hier Richtung Norden. Beim Queren des Passes durch einen Hohlweg hat man kurz den Blick in beide Seiten, nach Kerry und auf die Ballydonegan Bay.

Einmal verläuft sich der Irlandfan, weil der entscheidende Hinweispfahl völlig überwuchert und mithin vom Weg nicht zu erkennen ist. Er scheucht einen Satz Schafe vor sich her und in die Wiesen, bis er hinter einem Gatter auf weitere Schafe trifft, die ihn anschauen, entschlossen Front machen und sagen: bis hierhin und nicht weiter. Zäune sind zwar nicht unbedingt ein Problem (beim Wandern in Irland muss man öfter mal welche übersteigen, zum Teil auf schafsinkompatiblen Leitern), aber irgendein ungutes Gefühl sagt dem Irlandfan eben, dass er hier verkehrt ist, von den Killerschafen mal abgesehen. Er kehrt um, entdeckt den entscheidenden Pfahl aus dieser Perspektive auf Anhieb und setzt seinen Weg fort.

Nach Queren des Passes gerät der Irlandfan in ein Gebiet mit ehemaligen Kupferminen. Die umliegenden Böden sind deshalb nicht mehr unbedingt die stabilsten, und manchmal ist ein Bereich scheinbar grundlos eingezäunt, und darin liegt ein altes Grubengebäude oder ein tiefes Loch oder Dr. Hannibal Lecter oder auch nichts, aber wenn man reingehen würde, wäre da wahrscheinlich dann ein tiefes Loch. Die Leute hier erzählen einem gern, dass der ganze Berg unterhöhlt ist und öfter mal jemand verloren geht, besonders selbstverständlich neugierige Touristen.

Das letzte Stück des Beara Way vor Allihies ist im übertragenen Sinne am härtesten, denn es wird richtig sumpfig (das dritte Mal in den Annalen meiner Schuhe). Falls sich jemand aus Allihies auf den Weg macht: es ist nicht die ganze Zeit so.

In und um Allihies huldigt die Kamera wiederholt der Landschaft und zumindest in den Augen des Irlandfans auch der Athmosphäre. Dazu trägt auch die Musik bei, die er sich per Walkman ins Ohr tut und die jetzt, heimgekehrt, die ganzen Erinnerungen wieder wachruft. Zum Glück funktioniert das auch wenn man’s drauf anlegt.

In der Zeit der Dämmerung liegt der Irlandfan am Strand und hört immernoch Musik. Freedom’s just another word for nothing left to do, offensichtlich. Zur Steigerung des Genusses kann ich für die Gegend um Allihies bei Dämmerung einen Klaus Schulze empfehlen, „Beyond Recall“ etwa – klappt aber nicht bei jedem. Später spricht der Irlandfan noch in einem Pub mit einem Bauer über schafspezifische Probleme.

Das Aufstehen fällt mir am Morgen sehr schwer, was weniger an Schlafmangel, sondern eher an einem Mangel der Funktionstüchtigkeit des linken Fußes liegt, warum ist unklar. Ich schleppe mich in den Supermarkt und kaufe das Erstbeste zum Frühstücken, darunter eine Tüte mit ziemlich komischen Muffins, die ich aber aufesse, weil sie teuer waren.

Auf 80er-Jahre-Postern sagen die Cree-Indianer, dass man Geld nicht essen kann. Das stimmt. Man muss.

Und dann geht es auf den Weg nach Castletown. Diesmal nehme ich die Straße und nicht den Beara Way quer durch die Berge, denn ich will zur Not die Möglichkeit haben zu „hitchen“ (das kommt wahrscheinlich von „hit the road“). Einen Kilometer hinter Allihies hält das erste Auto neben mir, ohne Winken. Noch will ich aber lieber zu laufen versuchen.

Nach der Hälfte des Weges fange ich denn doch an, den Daumen nach vorbeifahrenden Autos zu schwenken. Auf meine Art komme ich ja nie an. Obwohl gerade jetzt die Gegend verspricht, schön zu werden. Die Leute haben die unmöglichsten Nadelbäume in die Gegend gepflanzt. Wären da nicht die Berge im Hintergrund, die wie Geröllhalden aussehen, könnte man glatt in Deutschland sein und hinter der nächsten Tanne auf die Schwarzwaldklinik stoßen. Prima, die könnten zum Beispiel mein Bein amputieren. Ich erreiche Castletownbere gegen 14 Uhr per Anhalter. Abholtermin nicht vor 19 Uhr.

So, und was macht man aus dem Rest des Tages ohne linken Fuß?

Erstmal essen. Dazu braucht man die Füße eigentlich nicht.

Dann hängt hier ja irgendwo noch ein Steinkreis herum. Diesen findet der Irlandfan schmerzverzerrt etwas außer- und oberhalb der Stadt gegen 16 Uhr, wartet dort bis 17 Uhr mit einem leider recht schweigsamen Pferd erfolglos auf besseres Wetter und macht dann trotzdem ein Foto.

Über das Abendessen in der Old Bakery in Castletownbere ist es müßig zu schreiben: unter anderem frische Erdbeeren und homemade bread (hier: Garant für guten Geschmack).

Bere Island

Auf dem Rücken von Bere Island
Auf dem Rücken von Bere Island

Am folgenden Mittwoch liegt die große Insel namens Bere vor dem Hafen von Castletownbere an. Seit längerem sorgfältig geplant (was sich an der Frage aufhing, wo man jemanden findet, der jemanden kennt, der weiß, wann welche Fähre wohin fährt und was eigentlich konkret man auf der Insel warum besichtigen kann) wird der Trip wohl trotzdem im Chaos versinken. Schuld daran ist vor allem die sich leicht anzugewöhnende Praxis des ziemlich-spät-Aufstehens.

Immerhin haben wir erfolgreich bei einem Supermarkt in Castletown angerufen und ein Fahrrad für mich gemietet, mit dem ich zu einer Fähre ein paar Kilometer außerhalb der Stadt sowie auf die Insel fahren, jene bereisen und mit der anderen Fähre, die direkt am Hafen der Stadt anlegt, wieder zurück gelangen will.

Wir fahren noch etwas rasanter als sonst, um noch rechtzeitig nach C.B. zu kommen. Ein paar Ecken hier sind wirklich kreuzgefährlich (stellenweise sogar wortwörtlich). Huckel und Schlaglöcher sind das eine. Aber wenn die Straße plötzlich eine Art Wall überquert und man dahinter nur Wald sieht, aber nicht weiß, wohin die Straße führt, regt sich auch im Irlandfan ein leicht erhöhter Puls und der Mageninhalt an unerwarteten Stellen.

Die Fähre ist noch da. Alles ist gerettet. Neben einer Kiste Milch und ein paar Toastbroaten bin ich der einzige Tourist an Bord, ansonsten sind da noch ein paar Leute von der Insel. Wir umfahren ein im Hafen versenktes Schiff und kommen nach etwa 20 Minuten auf der Insel an. Leider kann keiner der Anwesenden eine genaue Abfahrtszeit der anderen Fähre nennen. Genauer: jeder nennt eine andere, so dass sich der Irlandfan entschließt, den Durchschnitt zu bilden und eine Stunde eher da zu sein. Touristen stellen aber auch immer blöde Fragen.

Es gibt auf der Insel einen kleinen Ort und, wie allgemein üblich, verstreut umherstehende Häuser. Und ein altes englisches Fort.

Dorthin fahre ich zunächst und treffe links der Straße ein paar schöne symmetrische Baracken an, in denen ich Soldatenbehausungen vermute, vielleicht weil sie in Reih und Glied stehen und dumm und auch ein bisschen nach Knast aussehen. Gleichzeitig liegt rechterhand eine Art Festungsmauer. Ich öffne ein Zauntor und schaue mir das verlassene Fort an.

Um es kurz zu machen – das Äquivalent zu Königsstein ist es ja nicht gerade. Das sieht hier mehr nach „in aller Hektik verlassen, den Müll absichtlich vergessen und seitdem nie wieder drum gekümmert“ aus. Gras.

Der Irlandfan schließt das Tor wieder ordnungsgemäß, und ein vorbeikommender Mann nennt ihm unaufgefordert die seiner Meinung nach korrekte Abfahrtszeit der anderen Fähre. Spricht sich eigentlich jeder Tourist hier so schnell herum? Als die weiter verlaufende Straße den der Inselspitzenkrümmung logisch folgenden Knick macht, entdeckt der Irlandfan noch ein Fort, das er anhand verschiedener Beschilderung und zweier mächtiger Geschütze als die eigentliche Küstenbatterie identifizisifiziert. Man kommt leider nicht hinein, da sie (immer noch) mit einem Graben versehen ist. Die Zugbrücke ist mit einem Tor und Stacheldraht sowie seit mindestens 20 Jahren versperrt. Aber von außen kann man sie rundherum betrachten, und ich suche in der Landschaft kurz und natürlich erfolglos nach Anlässen, herumzuballern. Oder, wie Obelix im englischen Original von „Asterix bei den Briten“ bemerkt: „These British are crazy“.

Es erscheint klug, die in Warteschleife herumschwebende Fragestellung nach dem tatsächlichen Inhalt des zuerst besichtigten vermeintlichen Forts zu verdrängen. (Nachtrag: die Auflösung erfolgt im Tagebuch 1999.)

Weiter geht es auf der Straße Richtung Westen. Diese verläuft, um den Radfahrer zu ärgern, kreuz und quer und vollkommen unmotiviert über (wunderschöne) Hügel und Täler, schlenkert mal 100m einen (herrlichen) Berg hoch, verläuft dort 20 (lohnende) Meter und neigt sich nahezu parallel wieder zu (hübschem) Tale. Wo kann man sich hier beschweren?

In der Mitte der Insel steht ein Menhir, der in etwa so groß ist wie der Irlandfan, und während letzterer überlegt, wohin er jetzt fahren soll, sieht er unten im Hafen die Fähre einlaufen. Da streicht er mental die angedachte Fahrt über zwei Meilen Wiese und Geröllhalden zu einem Leuchtturm und wartet doch lieber am Hafen und eilt auf der Luftlinie dorthin. Dort wartet er kommentarlos die eingangs erwähnte Stunde, weil ihm die Fährbesatzung eben in einem hustenden und spuckenden Auto entgegenkam und er die ganzen Hebel des Schiffes nicht bedienen kann.

Die Fähre ist eine Autofähre (für 2 Autos), und wir fahren quer über die Bucht zurück nach Castletown-Berehaven. Die Bucht ist, glaubt man den Einheimischen, der größte natürliche Hafen der Welt, aber mangels einer genaueren Definition kann das wahrscheinlich jede Bucht der Welt von sich behaupten. Jedenfalls nisten hier im Winter russische Fischfangflotten (die den Fischen ihrer Wahl auf ihren Zügen folgen), und die 2000 Iren im Ort werden von etwa 10000 Russen heimbesucht.

Beara-Einzelstücke
Besichtigungen am Wegesrand

Ein Steinkreis
Ein Steinkreis

Etwas außerhalb vor Eyeries halten wir an, weil es dahinten einen Steinkreis gibt. Das Problem besteht darin, dass er sich auf dem Grundstück einer alten Dame befindet, die „weird“ ist. Es gibt im Englischen bestimmt 20 Wörter, die „verrückt“ bedeuten, alle mit einer entscheidenden und für einen Deutschen böswillig-hinterhältigen und logisch nicht zu erkennenden Nuance. Für den Muttersprachler ist der Unterschied hingegen klar wie Hechtsuppe. Man dürfe zwar hin, aber die Damen-Schraube (da fehlt möglicherweise ein U) ist angeblich sehr um die Sicherheit der Besucher bedacht und fragt sie, ob sie einen Stock zum Abstützen auf dem gefährlichen Weg (Wegelagerer) haben. Wenn nicht, müssen sie für ein Pfund einen von ihr nehmen. Wir wollen, vom Geiz gebeutelt, von hinten über die Felder. Das scheitert an der zufälligen Anwesenheit der Nachbarn und ihrer Schäferhunde.

Nun ist es in Irland nicht so, dass so ein Steinkreis etwas Besonderes ist. Es ist, um eine amerikanische Redensart zu bemühen, kaum möglich, einen brick in die Gegend zu schmeißen, ohne irgendwelche Steinsetzungen, Ringwälle und Ganggräber zu treffen oder zumindest jemanden der welche kennt. Am Ziel erkennt man ein paar Kiesel oder ein tiefes Loch und gerät ins Grübeln über Prioritäten.

Wir fahren also einfach zu einem anderen Steinkreis, in dessen Mitte offensichtlich vor kurzem noch ein Feuer gebrannt hat. Deshalb glaubt der Schriftführer, dass Irland nicht nur ein Problem zwischen Protestanten und Katholiken hat.

Dann fahren wir noch höher in die Berge, weil hier mitten auf der doch recht kleinen Halbinsel Beara in einem tiefen Tal ein amtlicher Bergsee liegt. Den Berg sehn wir nicht, weil es neblig ist. (Das Foto dazu wird noch nachgereicht.) In solch abgelegenen Tälern wie diesem haben die Katholiken unter den Besatzern Messen und Schulunterricht abgehalten.

Auf dem Weg ins Pub nach Allihies fahren wir am Buddist Retreat Center (irgendwo kommt in dieses Wort ein h) vorbei. Das ist ein Gebäudekomplex an der südlichen Steilküste von Beara, zwischen C.-B. und Allihies, und wenn es nicht dunkel und neblig wäre, hätte der Irlandfan (natürlich) einen grandiosen Ausblick auf eine grandiose Steilküste sowie das Meer. Es finden sich hier ein Hostel (ohne religiöse Vorbehalte) und ein bhuddistisches – ja, Kloster ist vielleicht zu viel, sagen wir Gotteshaus. Es steht hier, im erzkatholischen Irland, jedermann offen, also auch einem protestantischen Atheisten wie dem Irlandfan und ähnlichen Ketzern.

Wir schauen uns still im Meditationsraum um. Einer von diesen typisch buddhistischen Schreinen wie aus dem Fernsehen mit Kerzen, Bildern und anderen Sachen bedeckt. Davor eine Frau, meditierend, im Schneidersitz, etwa 20cm über dem Boden schwebend. Ein großer Raum, Sitzkissen aufgestapelt, für Großveranstaltungen. Eine Fotowand mit Bildern von einigen Mönchen, die alle wie der Dalai Lama aussehen, und dem Dalai Lama. Der Irlandfan will hier lieber nicht weiter stören.

Abreise

Der Irlandfan verlässt Irland nach einem kurzen und nicht unbedingt umwerfenden Aufenthalt in der Stadt Cork.

Mehr ist dazu nicht zu sagen, aber er wäre gerne noch geblieben.

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