Die letzte Reise des Sir Roger Casement

Dies ist eine der vielen, beinahe unglaublichen und tragischen Geschichten um den Osteraufstand in Irland 1916.

Wer war Roger Casement?

Als britischer Konsul in Afrika zu Anfang des 20. Jahrhunderts prangerte er mehrfach die Unterdrückung der Eingeborenen, auch durch Engländer, an. Das selbe tat er ein paar Jahre später in Südamerika und wurde dafür zum Ritter geschlagen. Dann wandte er sich seinem eigenen Land zu – Irland.

Nebenberuflich war er auch homosexuell, hielt dies aber aus Vorsicht um sein Ansehen so geheim wie möglich. Seine Homosexualität wurde später durch seine Tagebücher bekannt, was unter anderem den amerikanischen Präsidenten davon abhielt, sich für ihn zu verwenden.

Der erste Waffenschmuggel

Juli 1914. Casement befand sich in den USA in Kontakt mit der dortigen irischen Separatistenbewegung, dem Clan na Gael, und wartete auf eine Erfolgsmeldung einer von ihm finanzierten und organisierten Waffenschmuggeloperation. Die Waffen kamen auf abenteuerlichen (und inoffiziellen) Wegen auf zwei Schiffen aus Deutschland und wurden in Howth bei Dublin am hellichten Tag an Land gebracht. Es kam zu blutigen Ausschreitungen zwischen den erfolglos ausgesandten nervösen Soldaten und der feixenden Dubliner Bevölkerung.

Beginn des Weltkrieges – England’s difficulty is Ireland’s opportunity

August 1914. Casement feierte in New York den Kriegseintritt Englands.

John Redmond, Führer der irischen Nationalisten im Londoner Unterhaus, sprach sich dafür aus, die Engländer im Krieg gegen Deutschland zu unterstützen. Auch die irischen Amerikaner waren dafür. Das machte das Sammeln von Spendengeldern für Irland nicht gerade leichter, auch weil die Radikaleren nicht einsahen, warum sie für Leute, die „die Dreckarbeit für England“ machten, Geld spenden sollten.

Casement entschied sich, nach Deutschland zu fahren, um dort um Militärhilfe zu bitten, zum Beispiel, indem man ihn aus irischen Kriegsgefangenen eine irische Brigade bilden ließ. Er begeisterte den deutschen Botschafter für sein Vorhaben und schrieb einen Brief an den deutschen Kaiser, um ihn auf die Probleme Irlands aufmerksam zu machen. Darin legte er auch die Vorteile einer Schwächung Englands durch eine Stärkung Irlands dar.

Da die Engländer bereits kurz nach Beginn des Krieges in den Besitz der deutschen Kommunikations-Codes gelangt waren und die deutschen Transatlantik-Telegraphen-Kabel gekappt hatten, konnten sie jede Funkmitteilung abhören und erfuhren so auch vom Vorhaben Casements.

Nach Deutschland

Oktober 1914. Auf abenteuerlichen Wegen – und immer unter den Augen des englischen Geheimdienstes – gelangte Casement nach Deutschland. Er war überzeugt, dass es sehr leicht wäre, irische Kriegsgefangene für seine Sache zu gewinnen. Die Deutschen fanden das auch.

Im November verkündete der deutsche Kanzler auf Anraten Casements, dass die Deutschen im Falle einer Invasion Irlands nicht als Feinde auftreten würden. Der Clan na Gael in Amerika war begeistert, aber die Engländer erfuhren auch davon.

Die irische Brigade

Dezember 1914. Casement sprach zum ersten Mal zu irischen Kriegsgefangenen in Limburg. Diese trauten ihren Ohren nicht. Er sprach von der (ersten) Irischen Brigade, in der 300 Iren im Burenkrieg gegen England gekämpft hatten, und warb um Freiwillige.

Es meldete sich nicht ein einziger. Keiner, der im Kriege gewesen war und Kameraden sterben gesehen hatte, wollte sich mit den Deutschen verbünden. Sie hielten das Ganze für einen Versuch der Deutschen, sie zum Überlaufen zu bewegen.

Die anhaltenden Rückschläge begannen, sich auf Casements Gesundheit auszuwirken, und er verlor langsam seine Urteilsfähigkeit sowie das Vertrauen der Amerikaner. Er zog in ein Sanatorium im Berliner Grunewald.

Zur gleichen Zeit begann man in Dublin, sich Gedanken über einen Aufstand zu machen, insbesondere auch, um eine Ausdehnung der britischen Wehrpflicht auf Irland zu verhindern.

Neuer Auftrieb

April 1915. Joe Plunkett besuchte Casement. Dieser zeigte ihm die irische Brigade, die inzwischen aus einer Handvoll undisziplinierten und unmotivierten Leuten bestand, die eher eine Chance sahen, sich an den Deutschen zu rächen. Im deutschen Generalstab bat er um Waffen und Munition für die Irish Volunteers.

November 1915. Robert Monteith, ein Irish Volunteer, traf in Deutschland ein. Er war geschickt worden, um Casement zu helfen, und gab diesem neuen Mut. Er begann mit den Iren zu trainieren.

Der deutsche Admiralsstab erklärte, er hielte es für technisch unmöglich, Waffen nach Irland zu liefern. In Dublin rechnete man fest mit den Waffen.

Januar 1916. Casement brach zusammen. Die vielen Rückschläge und Schwierigkeiten waren zuviel für ihn. Er wurde in ein Sanatorium in Bayern eingewiesen, Monteith mit der ganzen Last zurücklassend.

Vorbereitungen

Februar 1916. In Amerika erhielt man die Nachricht, dass der Aufstand für Ostern geplant sei. Da Amerika mit England verbündet war, würde es keine Waffenlieferung aus seinen Häfen lassen. Alles hing an Deutschland. Man teilte den Deutschen genaue Aufstands- und Lieferungspläne mit und bat um 100.000 Gewehre. Darüber lachte der ganze deutsche Generalstab. Man plante dort, mit einem Schiff ca. 20.000 Gewehre und Munition in die Bucht von Tralee zu liefern.

Auch diese Meldungen wurden von den Engländern aufgefangen.

März 1916. Casement arbeitete an einem Plan, mit einem deutschen U-Boot dem Waffenschiff vorauszureisen. Da die irische Brigade zu nichts taugte, beschloss er, ihre Überfahrt zu verhindern. In seinem Tagebuch schrieb er vom „am schlechtesten geplanten Unterfangen, das die Geschichte irischer Revolutionsversuche zu bieten hat“. (Und das will schon was heißen.)

Die Wahl der Deutschen fiel auf ein bei Kriegsbeginn konfisziertes englisches Schiff, die Castro, die jetzt Libau hieß. Unter strengster Geheimhaltung wurde eine Mannschaft aus Freiwilligen rekrutiert und das Schiff für den Transport der 50 Mann der irischen Brigade und der Waffen vorbereitet.

Unterdessen kam es zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen Casement und dem deutschen Generalstab. Casement war der Ansicht, dass die irische Brigade nutzlos war, und die 20.000 veralteten Gewehre zuwenig waren. Hinzu kam, dass es sehr unwahrscheinlich war, dass ein Schiff allein die englische Blockade durchbrechen konnte. Er wollte die ganze Aktion stoppen. Die Reaktion der Deutschen bestätigte seine Befürchtungen: niemand nahm in mehr für voll. Aber er hatte verhindert, dass die irische Brigade in den sicheren Tod ging.

Erneut bat er um ein U-Boot. Er wollte nach Irland, um den – wie er es sah – aufgrund der unzureichenden deutschen Unterstützung von vorneherein zum Scheitern verurteilten Aufstand zu verhindern. Zur selben Zeit entschied sich Pearse in Dublin endgültig für den Aufstand am Ostersonntag.

Es geht los

April 1916. In Berlin traf ein Brief ein, der die endgültigen Einzelheiten festlegte. Dabei war ein schwerer Fehler passiert: es hieß darin, dass die Waffenlieferung spätestens am Ostermontag in der Bucht von Tralee eintreffen sollte. Es hätte jedoch heißen müssen: nicht vor dem frühen Morgen des Ostermontag, da ein zu frühes Eintreffen die Engländer gewarnt hätte.

Gleichzeitig erhielt Casement die Nachricht, dass ein U-Boot für ihn bereit läge. Er erhielt das Boot vor allem deshalb, weil man ihn los werden wollte und weil er, wenn er an Bord des Schiffes übersetzen würde, die ganze Aktion gefährden könnte. Er hoffte, den Aufstand noch verhindern zu können.

Am 9. April stach die Libau, perfekt getarnt als heruntergekommener norwegischer Frachter, in See. Das Schiff wurde auf See in Aud umbenannt. Es fuhr auf einem langen Umweg von Kiel um Dänemark herum, dann nördlich bis an den Polarkreis und von da im spitzen Winkel zwischen Island und den britischen Inseln hindurch und südlich bis in die Bucht von Tralee.

Am 12. April gingen Casement und Monteith an Bord der U-20. Der Kapitän hatte Order, sich mit der Aud in der Bucht von Tralee zu treffen und seine Passagiere dort abzusetzen. Die Engländer verfolgten die Funksprüche und sowohl Schiff als auch Boot nahezu auf Schritt und Tritt. Wegen eines Defektes stiegen die Iren auf Helgoland auf die U-19 um. Casements Gesundheit litt unter den Reisestrapazen weiter.

Inzwischen erhielten auch die Deutschen (nach den Engländern) die Mitteilung, dass die Aud keinesfalls vor dem Abend des Ostersonntag in der Bucht von Tralee eintreffen solle. Das Problem war nur, dass das Schiff keinen Funk hatte.

Allerdings verhielten sich auch die Briten verdächtig. Die Aud wurde ständig von britischen Kreuzern beobachtet, die jedoch ohne eine – im Seerecht erforderliche – Frage nach Woher und Wohin bald wieder abdrehten. Selbst als sie beobachteten, wie die Mannschaft der Aud die aus Badewannen und ähnlichem bestehende Tarnladung über Bord warf, kümmerten sie sich nicht darum. 45 Meilen vor Tralee wurde das Schiff auf das Löschen der Ladung und eventuelle Kampfhandlungen mit englischen Truppen an Land vorbereitet.

Ankunft

Vor der Mündung des Shannon suchte die Aud nach der richtigen Bucht. Und auch von den Geschützen auf Loop Head kam keine Mitteilung, kein Warnschuss. Allerdings wurden vom Hauptquartier zwei Zerstörer losgeschickt. Nichts rührte sich. Die Aud wartete auf die irischen Lotsen. Die Iren warteten auf die Lieferung, aber erst in drei Tagen. Die U-19 wartete, und zwar auf die Aud.

In Berlin erfuhr die Admiralität, dass die Engländer alles wussten. Es erging ein verschlüsselter Funkspruch an alle U-Boote, sofort mit der Aud umzukehren. Die einzigen, die den Funkspruch empfingen, waren die Engländer.

Auf dem U-Boot entschied man sich, die Iren im Schutze der Dunkelheit mit einem Boot an Land zu bringen. Sie landeten am Karfreitag-Morgen am Banna-Strand bei Tralee. Obwohl Casement arg angeschlagen war, war er glücklich: er war in Irland.

Sie versenkten das Boot (zur Hälfte) und vergruben ihre Habseligkeiten und Waffen. Dann liefen sie los, in Richtung Tralee. Casement versteckte sich in einem alten Ringfort, während am Strand ein Bauer das Boot und die Kisten fand und die Polizei benachrichtigte.

Unterdessen wurde die Aud von einem bewaffneten britischen Schiff angelaufen.

Unter Verwendung großer Mengen von Whisky gelang es der Mannschaft, die Engländer von ihrer Harmlosigkeit zu überzeugen. In der allgemeinen Alkohol-Laune erfuhren sie auch, dass die Engländer nach einem deutschen Schiff suchten, das Waffen für eine geplante „Revulsion“ brachte.

Das Ende

Monteith traf in Tralee ein und nahm Kontakt mit den dortigen Volunteers auf. Er berichtete alles über das Waffenschiff und Casements Versteck. Man fuhr mit einem Auto hin, allerdings wimmelte die Gegend von Polizei, und man musste umkehren. Unterdessen wurde Casement gefunden und verhaftet, obwohl er nicht erkannt worden war – man hielt ihn für einen deutschen Spion. Über einen Priester und einen Arzt erfuhren die Volunteers, dass Casement im Gefängnis war.

Auf See wurde die Aud von einem anderen englischen Schiff entdeckt. Dieses nahm auch Kontakt mit dem ersten Schiff auf, das die Aud stark alkoholisiert verlassen hatte, und in der allgemeinen Verwirrung konnte die Aud in Richtung Südwesten entkommen. Vorerst. Am Abend wurden sie entdeckt und nach Queenstown (heute Cobh) eskortiert. In der Hafeneinfahrt legte die Mannschaft Sprengladungen und verließ das Schiff.

Später erfuhr Berlin davon und erkannte erst jetzt, dass kein U-Boot die Meldungen aufgefangen hatte. Man entschied sich, die Sache zu begraben und in der Presse herunterzuspielen.

Casement wurde nach Dublin gebracht und von dort zum Scotland Yard nach London. Im Gefängnis versuchte er mehrmals, sich das Leben zu nehmen. Er wurde verurteilt und am 3. August 1916 in London gehängt.

Am 23. Februar 1965 wurden seine Überreste nach Irland zurückgebracht, wo er ein großes Begräbnis bekam. Der 82-jährige Eamon De Valera hielt die Grabrede.

Weiterführende Informationen:
Geschichte des Osteraufstandes

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